13. Juli
Als ich am Sonntag den 13. Juli, nach einer Nacht im Zug, mich in Richtung Süden auf machte, war ich froh um das absehbare Ende meiner Radtour. Noch 526 km bis Brisbane. Mir war es in der Nacht mittlerweile zu kalt und ich konnte mir nicht vorstellen in der nächsten Zeit irgendwo ein paar Tage länger zu verweilen. Der Genuss, den ich in den ersten Woche verspürt hatte war verflogen.
Auf Google map kann man sich von A nach B die Route und das Höhenprofil anzeigen lassen. Sehr praktisch, denn die Überwindung von Höhenmetern war für die Planung, wie wir ja nun schon seit längerem wissen, entscheidend. Heute sollte es also nach Miriam Vale gehen. Noch in Gladstone bekam ich eine Vorstellung von der „Hügeligen Landschaft“. Jeder Berg bedeutet nicht nur Kraft, sondern auch Zeit. Wenn ich dann Runde um Runde die Kurbel trat, dachte ich nur ans Essen….. Selbst mit den hochwertigen und leicht überteuerten Lebensmitteln hatte ich das ständige Gefühl nicht genug zu Essen. Und so träumte ich mich von Kilometer zu Kilometer durch die begrenzten Möglichkeiten meiner Campingküche….
Am letzten Kreisverkehr Ortsausgang kam mir, auf meiner Seite der Straße, ein Radler entgegen. Er sah mit Jeans, Tshirt und Skaterhelm nicht wie ein Radsportler aus. Hinter seinem Pushbike sah ich ihn einen ähnlichen Anhänger wie den meinen ziehen. Er fuhr quer über die Wiese und vor lauter Auf und Ab, sah ich wie sich etwas von seinem Anhänger löste und ins Gras fiel. Er wollte gar nicht anhalten, als ich ihn auf den Verlust hinwies. So musste ich ein lautes „Stoooopp“ von mir geben…..Mir war klar, den Schlafsack würde er spätestens in der nächsten Nacht schmerzlich vermissen…..
Peter Hamming kam aus Rosenvendale, etwa 110 km südlich von Gladstone. Er war so um die 20 Jahre und in seiner ersten Woche, von zukünftig ganz vielen. Einmal rund um Australien in 2 Jahren. Seine Reise widmet er einem Charity-Projekt unter dem Namen: For Free to shine. Auf seiner Seite bei Facebook kann man alles verfolgen (Pete’s Bike Around Oz, for Free to Shine) Die Idee und sein Arrangement finde ich großartig.
Im Gras sitzend und Avocados essend, erzählten wir mehr als eine Stunde über unsere unterschiedlichen Ziele und über seine kurze und meine etwas längere Erfahrung mit dem Equipment. Peter hatte viel mehr Ausrüstung als ich. Der Kinderänhänger war größer als mein Dogtrailer und verleitet sicher auch zu mehr „nötigen“ Dingen. In Airlie Beach wird er seine Eltern und Geschwister zu 2 Wochen gemeinsamen Urlaub treffen und kann, davon gehe ich aus, Ballast abwerfen.
Die 65 km bis Miriam Vale waren für meine ausgeruhten Beine nicht wirklich schwer. Jeder Hügel bedeutete kein Gegenwind. Bis Brisbane wird das Profil so bleiben und jeder Pedaltritt ein Stück zu meinem Fernziel Ironman in New Zealand.
Miriam Vale war ein Ort, der für Touristen mit „Kühen und Tabak“ warb. Von Peter hatte ich den Tip bekommen, gleich am Ortseingang in einem Backpackerhostel nach einer Übernachtungsmöglichkeit zu fragen. Stellte man sich in die Mitte des Ortes, dann konnte man vom einem zum anderen Ende die Lage überblicken. So war die Unterkunft auch leicht zu finden.
Ein junges Paar hatte die Unterkunft vor 6 Monaten übernommen. Da momentan keine Saison war, waren auch hier eher die Saisonarbeiter, die den sonst sicher üblichen Altersdurchschnitt eines typischen Hostels stark nach oben trieben. Meine Wenigkeit eingeschlossen. Peter hatte etwas von 5$ die Nacht erzählt, ich zahlte 10$, aber ich war ja auch nur zu meiner eigenen Wohltätigkeit unterwegs.
Es war Sonntag und die Arbeiter genossen schon seit Mittag ihren freien Tag mit Bier und Rum. Als einzige Frau war ich schnell der Mittelpunkt im Campkitchen. So prallten 5 verschiedenen australische und neuseeländische Akzente auf mich ein, die mit jedem Schluck Alkohol mehr noch unverständlicher wurden. Als ich mit einem „Guten Nacht“ aufstand, war Verwunderung die Resonanz. Im Zelt liegend wußte ich dann auch warum: Es war erst 17 Uhr. Aber ich blieb und machte es mir mit einem Hörbuch gemütlich. Der morgige Tag war schon vorbereitet.
Bundaberg – mein Plan für die nächsten 2 Tage:
71km bis Rosedale mit Camping for Free 1 km vor dem Ortseingang. Am zweiten Tag die restlichen 56km. In Bundaberg werde ich von Stephen (Mark`s Bruder) und seiner Familie erwartet. Dieser Kontakt teilte mir Mark recht spontan mit, als ich ihm vor einer Woche mit einer Email den Stand der Reise und das nächste Ziel Bundaberg mitteilte. Ich dachte die ganze Zeit Mark stammt aus Brisbane. Aber nein, seine Familie lebt noch in seinem Geburtsort.
14. Juli
Hügel und dürres Grasland prägten die Monotonie des Highway 1. Nicht zu warm und nicht zu kalt, der Tag war einfach wunderbar. In der Imbissstube einer Tankstelle hatte ich die Nachricht erhalten: „Wir sind Weltmeister“. Ich wollte schon ganz laut rufen „Ich bin Deutsche, das sind wir…“ War dann aber doch still, setzte mich mit einem Hotdog vor den Fernseher und sah zu wie „unsere Jungs“ den Pokal von einer Hand in die ander reichte. „Na das bringt ja Schwung in den Tag dachte ich mir, und schob auch schon mein Rad zurück auf den Highway. „Fiiinaalle“ „Oohhoo“ trällerte ich vor mich hin, als ich am Straßenrand die Begrenzungsstäbe sah (hierzu ein Bild in meiner Fotogalerie)….. sahen sie doch wie eine Huldigung an die deutsche Fußball-Elf aus. Ich habe keines der Spiele gesehen, aber ich weiß, es ist eine große Leistung bis an die Weltspitze zu kommen.
Die Angst vor den „unsichtbaren“ Schlagen und anderen giftigen Tieren war schon lange nicht mehr da, denn ich bekam keine zu Gesicht. Wenn ich ein Tier wäre, ich würde mich auch weit weg vom Highway, an einen ruhigen, nahrungsreichen und von Feinden geschützten Ort begeben. Und so war ich die einzige, die 20m landein auf einem Stein saß und ihr Mittagbrot genoss.
Wie ihr wisst, Garry aus Brisbane hatte mir ja sein Garmin-GPS nach Cairns geschickt. Als ich nach 3 Tagen die Einstellung zur deutschen Sprache endlich gefunden hatte, war ich schon zu erschöpft, mich weiter durch das Menü zu tasten. Das einzige was mir gelang, war zu sehen wo ich mich aktuell befand. Als es schon nach 16 Uhr war und ich Rosedale noch nicht erreicht hatte, versuchte ich mit meinem GPS die Lage zu checken. Aber das Gerät schien nicht zu funktionieren, denn ich fand auf dem Display keinen Eintrag irgendeines Ortes, schon gar nicht Rosedale.
Auf der anderen Seite der Strasse hielt gerade ein Schulbus und von dem Farmhaus auf dem Hügel gegenüber fuhr ein Moped durch den Strassenstaub. Die Schülerin wurde wohl abgeholt. So ein 10minütiger Fußmarsch nach Hause konnte aber auch wirklich schwer sein….. dachte ich mir noch so, als der Farmer vor mir anhielt und seine Tochter aufstieg.
Ich fragte ihn wie weit es noch bis Rosedale sei…. und seine zusammen gezogenen Augenbrauen verrieten, dass er die Frage nicht verstand. So wiederholte ich mein Anliegen….. wenn ich nach Rosedale möchte, muss ich zurück nach Miram Vale und dann….. ich hielt ihm meine Karte hin und er zeigte mir wo ich mich befand….. Unglaublich: Miriam Vale war ein „Nest“ am Highway 1. Am Ortsausgang gab es zwei Strassen….. und ich hatte die falsche genommen. Warum? Weil ich dem Hinweis Bundaberg gefolgt war…. Klar für alle Autos war der Highway immer der schnellere Weg und über GIN GIN der wohl bessere. Ich stand dann also kurz vor „Ladenschluss“ mitten in der Pampa und…… Oh je, dachte ich nur…. Mir war klar, ich musste nur etwas warten und der Farmer bietet mir Hilfe an. Besten Falls er fährt mich in die nächste Ortschaft. Na was soll ich sagen, die Intuition einer Frau: „Ich hole das Auto und bringe sie in die Stadt“…. ich war erleichtert. Zu meiner ersten Nacht irgendwo in der Landschaft war ich einfach noch nicht bereit…..
Er brachte seine Tochter nach Hause und versprach zurück zu kommen. Ich könnte ja in der Zwischenzeit meinen Trailer abhängen und für den Transport vorbereiten. Wir sofort erledigt…. ich lächelte!
Keine 10 min später kam er zurück, allerdings mit dem Motorrad…. „Ich habe eine andere Idee“ hörte ich ihn sagen. „In 20 min kommt der Schulbus zurück und der Busfahrer, ein Freund von mir, wird mich mitnehmen. Ich habe schon mit ihm telefoniert.“ Danke schön Australien für die warmherzigen und hilfsbereiten Menschen in Deinem Land. Dafür mein schönstes Lächeln. Danke.
Bryan ,der Busfahrer, war ein junger Mann und half mir beim Verladen von Bike und Trailer. Ich nahm in der ersten Reihe im Bus Platz, damit wir uns unterhalten konnten. Es waren lustige 20 min bis nach Gin Gin….. Aus der Sicht des Busses sah der Bikerstreifen auf der Straße winzig aus und ich bekam ein Gefühl für die Geschwindigkeit und Sicht der Autos auf mich. Nur noch 414 km bis Brisbane, schoss es mir durch den Kopf als wir in GIN GIN kurz vor „Lichtaus“ an kamen.
15. Juli
Unfreiwillig hatte ich mein Zelt auf einem freien Caravanplatz vor dem Ortseingang Gin Gin aufgeschlagen. Nahe dem Wald hatte ich am Abend Geräusche gehört und im Licht meiner Taschenlampe die Ursache für das Rascheln entdeckt. Starr vor Schreck und mit aufgerissenen Augen umklammerte in 1 m Höhe ein Possum einen Baum. So als ob keine Gefahr bestünde mit: Wenn ich mich nicht bewege, sieht mich keiner !!! Das war echt komisch. Leider konnte ich kein Bild machen, denn das Blitzlicht meiner Kamera reichte dazu nicht aus.
Mein Nachbar war der einzige, der wie ich am Abend vor dem Zelt saß und zu einer Unterhaltung bereit war. Die Camper saßen in Ihren warmen Ersatzhäusern. Es war aber auch kalt…. Auf den Caravanplatz in der Stadt hatten sie mich, trotz einbrechender Dunkelheit, nicht gelassen: Keine Zelte!!!! So musste ich in der Dunkelheit 1 km am Highway entlang radeln. Einer der Trucker machte mich auf die Gefahr meiner doch nur spärlichen Radbeleuchtung aufmerksam. Also schob ich und blieb stehen wenn mich ein LKW passierte.
Am nächsten Tag 9 Uhr musste ich mir eine Werkstatt mit Reifen suchen, denn mit dem linken Mantel des Trailers komme ich wohl nicht mehr bis Bundaberg. Alle 4 Möglichkeiten (Werzeugladen, Autoreifenhändler usw) hatten nicht das gewünschte. Im Informationeszentrum erfuhr ich, dass es nur einen Bus gab und der war schon seit 2 Stunden unterwegs. Blieb mir nur noch der Autostop. Nach einem Plausch mit dem Reifenhändler, malte er mir das Wort „Bundy“ auf einen Stück Karton und wünschte mir Viel Glück. Bundy war das Wort der Einheimischen für Bundaberg….. das konnte sicher nicht darüber hinweg täuschen, dass ich keine Australierin war….. niemand außer Peter war so in Australien unterwegs…. ach ja und Megan aus Innisfail……
Als Tramper sollte man sich, gut sichtbar, an einen Platz stellen, wo auch das Anhalten nach hoher Geschwindigkeit möglich ist. Outfit und Auftreten waren dabei sicher genauso wichtig. Sauber, ordentlich und farbenfroh war sicher ein „ausgezeichnet“…. dann noch ein Strahlen ins Gesicht….. und während ich noch so über die Qualität des Auftritts nachdachte und ob gestenreiches Winken denn hilfreich sei, hielt auch schon das erst Auto. Ein Lieferwagen….. ich lief schnell zum Auto und erklärte mein Ziel. Eine Asiatin und ein älterer, eher europäisch aussehender, Mann waren einverstanden und wir luden meine Habseligkeiten in den Laderaum.
Das Führerhaus hatte eine Bank und wenn auch etwas beengt, war es doch möglich zu dritt da zu sitzen. Sie würden mich nach einem kurzen Abstecher nach Hause nach Bundaberg bringen. Entführen die mich jetzt etwa, schoß es mir durch den Kopf. Zu viele Krimis gesehen, gleich hinterher.
„Normalerweise nehme ich keinen mit“ erzählte Sayphone. Es hat wohl schon Fälle gegeben, da hätten die Anhalter den hilfsbereiten Leuten gedroht und das Auto weggenommen. „Aber Frank meint auch, Du siehst nicht so aus“. Sag ich doch, das Erscheinungsbild ist wichtig.
Sayphone kam aus Thailand und verdiente ihr Geld mit Handel von Obst und Gemüse. Über die Jahre hatte sie sich wohl einen großen und festen Kundenstamm erarbeitet, jedenfalls klingelte während der Fahrt das Telefon und sie nahm von „Darling“ und „Honey“ und „My Dear“ Bestellungen und Sonderwünsche entgegen. Nicht lange und wir waren auch schon bei ihr zu Hause. Eine Hütte (oder meinetwegen ein Haus), ein Ententeich, und eine große Lagerhalle waren die Basis für eine große Zukunft. Sie war noch am Anfang, so erzählte sie. In den nächsten 2 Jahren wollte sie Pesto selbst herstellen und die Kräuter und Pflanzen dazu hier anbauen. Ich schloss meine Augen und presste meine ganze Fantasie in ein Bild, doch bei dem Chaos in den Gebäuden, auf dem Hof, im Wohnhaus und der trockenen Landschaft, so weit das Auge sah, ich konnte es mir nicht vorstellen. Aber Unordnung heißt in Australien nichts… Abgelegt wird alles, wenn es nicht mehr gebraucht wird, da wo Platz ist, oder wo man gerade stand. Ein Unternehmen konnte trotzdem funktionieren.
Der ältere Herr hieß Frank……Er kam aus Heidelberg und war schon als Kind mit den Eltern nach Australien gekommen. Eigentlich hieß er ja Franz, aber die Australier behaupten, so sagte er, dass das hier Frank heißen muss. Als ihr Fahrer half er Sayphone bei der Ausfuhr der Ware. 30 min später saßen wir wieder im Auto. In Bundaberg brachten sie mich an einen zentralen Ort, damit mich Stephen abholen konnte. Zum Abschied gabe es noch 2 Kilo Bananen, die ich behalten musste auch mit dem Hinweis, im Anhänger dafür wirklich keinen Platz zu haben.
Ich war in Bundaberg und hatte die Aussicht auf ein warmes Bett und ein paar Tage Pause vom Radeln. Stephen schickte ich eine SMS und stellte mich auf ein paar Stunden warten ein. Es war Mittag und das Abholen an einem Werktag sicher erst am Nachmittag möglich. Der Park direkt am Fluss hatte Toilette und Sitzgelegenheit. Wie bei meiner Ankunft in Cairns schon bemerkt, gab es überall in den Städten und kleinen Ortschaften öffentliche Grünanlagen mit Picknickplätzen und elektrischem Grill. Die Anlagen waren stets gepflegt, sauber und frei nutzbar. Für Toiletten zu bezahlen war auf keinen Fall üblich, auch nicht in Stadtmitte. So konnte man sich jederzeit entspannt mit Freuden zu einem BBQ treffen. Oder man konnte auf jemanden warten und sich dabei ein Mittagssüppchen kochen. Als ich meine Küchenutensilien wieder verräumt hatte, hörte ich hinter mir plötzlich ein „Andrea?“